Mittwoch, 18. November 2009

Mercedes Sosa

Anlässlich des Todes von 'La Negra' Mercedes Sosa am 4.10.
dieses Jahres möchte ich an die argentinische Folklore-Sängerin
Mercedes Sosa erinnern, die im Alter von nur 74 Jahren an einem
Leberversagen starb.

Die nueva cancionera hat mit ihrer unprätentiösen und doch
intensiven Darbietungsweise zum Teil große Publikumserfolge
gefeiert, besonders konnte sie jedoch mit canciónes aus ihrer
Heimat, geschrieben von Freunden, Vorbildern oder Bekannten
begeistern, denn die Intimität, die durch derartige Performances
von ihr erwirkt wurde, ist selbst in alten Videoaufnahmen noch
spürbar.

Als kleines Beispiel habe ich den Violeta Parra-Song 'Gracias
a la vida' gewählt, der wiederum für Parra eine Art Abgesang am
Ende ihres eigenen Lebens Mitte der 1960er gewesen war, mir
daher gleich doppelt passend erschien:


Gracias a la vida (Violeta Parra, perf. v. Mercedes Sosa)




Gracias a la vida que me ha dado tanto.
Me dio dos luceros que, cuando los abro,
perfecto distingo lo negro del blanco,
y en el alto cielo su fondo estrellado
y en las multitudes el hombre que yo amo.

Gracias a la vida que me ha dado tanto.
Me ha dado el oído que, en todo su ancho,
graba noche y día grillos y canarios;
martillos, turbinas, ladridos, chubascos,
y la voz tan tierna de mi bien amado.

Gracias a la vida que me ha dado tanto.
Me ha dado el sonido y el abecedario,
con él las palabras que pienso y declaro:
madre, amigo, hermano, y luz alumbrando
la ruta del alma del que estoy amando.

Gracias a la vida que me ha dado tanto.
Me ha dado la marcha de mis pies cansados;
con ellos anduve ciudades y charcos,
playas y desiertos, montañas y llanos,
y la casa tuya, tu calle y tu patio.

Gracias a la vida que me ha dado tanto.
Me dio el corazón que agita su marco
cuando miro el fruto del cerebro humano;
cuando miro el bueno tan lejos del malo,
cuando miro el fondo de tus ojos claros.

Gracias a la vida que me ha dado tanto.
Me ha dado la risa y me ha dado el llanto.
Así yo distingo dicha de quebranto,
los dos materiales que forman mi canto,
y el canto de ustedes que es el mismo canto
y el canto de todos, que es mi propio canto.

Gracias a la vida que me ha dado tanto.



Die Intensität und gleichzeitige Entspanntheit der Aufführung
überbietet die altmodischere, wenngleich ebenfalls sehr schöne
Version von Parra tatsächlich noch und zeigt, dass Sosa viel mehr
war als nur die lateinamerikanische Joan Baez.

Europäischer Fernwanderweg E1: Kiel (Wellingdorf) - Preetz

Die Entscheidung ist sehr spontan und ich weiß zunächst nur, dass ich Lust habe zu wandern. Seitdem mein Fernweh wieder geweckt ist, hat sich alles in meinem Leben verändert und ich kann es nicht erwarten, an diesem wundervollen Tag, der einen klaren blauen Himmel und strahlenden Sonnenschein der jetzt spürbar weiter von diesen Regionen der Erde entfernten Sonne lockend zur Schau stellt, endlich aufzubrechen. Ich fahre mit dem Auto bis nach Kiel-Wellingdorf an die Schwentine und suche dort den Beginn jenes Fernwanderweges, der – ginge ich nur immerzu weiter – mich bis nach Italien führen könnte.

Der E1 entspringt nahe der schlammigen Wiese, der hohen Stadtautobahnbrücke und der nahen Durchfahrtsstraße, unmittelbar an der Schwentine, die recht gelassen Richtung Meer fließt. Flussabwärts also beginne ich meinen Weg und sehe mit Herzklopfen das erste Andreaskreuz, weiß auf schwarzem Grund: unvorstellbar, wie weit mich dieser Weg theoretisch führen könnte und hoffentlich praktisch eines Tages führen wird. Kurz darauf ist der Weg jedoch wieder zu Ende: Ein lieblos angebrachtes Schild weist darauf hin, dass der Wanderweg bis zum November wegen Bauarbeiten gesperrt sei. Da mir andere Spaziergänger entgegenkommen, wage ich es dennoch und gehe weiter. Die Gegend ist mir, obwohl sie zu meiner Heimatstadt gehört, gänzlich unbekannt. Zwar bin ich, als ich jünger war, gelegentlich mit meinem Vater auf der Schwentine rudern gegangen, dennoch vergisst man nach und nach, dass Kiel an zwei Flüssen liegt – man sieht meist ob des Meeres und des Kanals keinen davon – und am Ostufer kenne ich mich, auch wenn ich dort immer mehr Freunde zu besuchen habe, noch sehr schlecht aus. Die geschmackvollen Gärten zur Rechten wie auch der Fluss und die jenseitigen Boote zur Linken machen in dieser Sonne ein schönes Panorama aus, ich schlendere – und treffe bald auf die Baustelle.

Diese betrifft einige Brücken, die man nun über schmale Balken überqueren muss, dies erschwert es aber nicht zu sehr und ich komme gut bei der ersten Kreuzung an, begegne den ersten Grüppchen von Spaziergängern, lasse den gesperrten Abschnitt noch in Wellingdorf hinter mir. Es geht nun steil bergab in einen Wald hinein, eine hübsche Joggerin überholt mich und grüßt recht freundlich, ich beschließe, fortan auch alle Spaziergänger zu grüßen, was im Allgemeinen aber eher überrascht als fröhlich aufgenommen wird. Über eine große Brücke quere ich erstmals die Schwentine und sehe zur Rechten ein Ruderboot stromaufwärts fahren, die goldbraunen Bäume über dem Fluss hängen und sich spiegeln, die diesen Tag zur idealen Herbstidylle machen. Schön, dass ich heute diesen Ausflug unternehme! Viele stehen hier auf der Brücke und starren ins Wasser, ich ziehe derweil weiter und gehe am anderen Ufer entlang, eine hügelige Strecke am Waldesrand, die von der Sonne golden beleuchtet wird. Jogger und Radfahrer überholen mich und kommen mir entgegen, während ich an einigen Wandergruppen – vornehmlich ältere Leute – vorbei ziehe.

Ein Stück weit geht es so voran, ich komme, ohne es direkt zu sehen, an Schönkirchen vorbei, sehe einige Kinder, die angeln, komme dann bergauf zu einem Weg entlang einiger Äcker, der mich vom Fluss erstmals erheblich wegführt. Ich gehe eine Ebene entlang und treffe auch hier, mitten im Ackerland auf einem Trampelpfad Spaziergänger, die nunmehr ihrerseits ein freundliches “Moin!” erklingen lassen. Im Stillen antworte ich “Yawp!”

Kurz darauf komme ich im kleinen Oppendorf an, einer etwas auswärts gelegenen Siedlung, die noch zu Kiel gehört. Hier führt mich der Weg ein Stück weit die Straße entlang und zur Rechten brüllt ein Hirsch im weit entfernten Wald, ein Schuss ertönt. Die wenigen Häuser, die die Siedlung ausmachen, sind bald vorüber und ich habe Schwierigkeiten, an einem schmalen Weg das E1-Schild auszumachen, weiß aber intuitiv, dass es hier rechts gehen muss, in Richtung Preetz. Der Sonnenstand bestätigt mich und endlich finde ich auch die Markierung und gehe guten Gewissens weiter.

Eine große Ackerebene erstreckt sich vor mir und wird von der Sonne malerisch erleuchtet. Als ich bergab gehe, rasen zwei Mädchen an mir vorbei, die erste bedankt sich, die zweite brüllt wie am Spieß, die Eltern folgen kurz darauf. Ich hole bergauf weitere Spaziergänger ein und schließlich gar wieder die Familie, die die Räder jetzt schieben muss. An der nächsten Abzweigung ist die Markierung erneut gut versteckt, ich muss wieder rechts, auf einen Wald zu. Hinter einem Knick unterhalten sich zwei Jugendliche auf Polnisch und ich überhole bald darauf zwei wandernde Frauen, die mit kleinen Rucksäcken unterwegs sind. Ein Hund knurrt mich kurz an und seine Besitzerin entschuldigt sich, ich winke ab, es mache nichts. Vor mir ist jetzt sehr lautes Hundegebell zu hören und ich frage mich, was da vor sich gehen mag. Ich steige steil zu einem Bach hinab und beim folgenden Aufstieg sehe ich, woher der Lärm kam: Einige Hundebesitzer und eine junge Mutter haben sich hier zufällig getroffen und die Tiere lassen nicht voneinander ab, tollen herum, kläffen, spielen. Grüßend passiere ich die Gruppe und komme nach einer weiteren Strecke im golden beleuchteten Ackerland um Flüggedorf zur Schwentine zurück, die jetzt weit unter mir fließt.

Nach einem längeren Abstieg bin ich wieder auf Niveau und sehe den verwilderten Fluss neben mir, ganz anders in seinem jetzigen Charakter. Die Strecke führt mich noch eine ganze Weile durch den Wald, bevor ich an der Oppendorfer Mühle, einem selbsterklärten Ausflugslokal, ankomme. Ich raste nicht, sondern steige links die Straße hinan, finde mich auf einem weiteren Waldweg wieder, der mir anzeigt, es seien noch 2,4 Kilometer bis Raisdorf und 0,8 bis zur Rastorfer Mühle. Ich habe bisher eine Stunde gebraucht und versuche, die Zeit bis nach Raisdorf jetzt zu messen: Vielleicht schaffe ich es ja doch noch nach Preetz. Der Waldweg ist etwas breiter und führt mich an einer großen Apfelplantage entlang. Bald darauf komme ich zur Rastorfer Mühle, wo ein Wasserwerk ist, das recht modern, aber auch unspektakulär aussieht. Die Obstquelle macht Werbung mit frischen Früchten und ich überlege kurz, ob ich dort einkaufen soll, gehe dann aber doch weiter. Die folgende Kreuzung verrät nichts mehr außer, dass der Weg links der Schwentine der sogenannten Schusteracht, einem beliebten Fahrradweg um Preetz in Form einer Acht, folgt.

Es ist die wahrscheinlichste Möglichkeit – richtungstechnisch – für den E1, also gehe ich dort entlang und komme zu einer Brücke, an der ebenfalls keine Zeichnungen sind. Folglich bleibe ich am selben Ufer und gehe ein paar Meter durch den langsam in der Abendsonne glänzenden Wald bis zum zweiten Wasserwerk. Dort finde ich eine Karte der Schusteracht vor, der E1 ist nicht eingezeichnet: Es sind noch mindestens sieben Kilometer bis Preetz. Ich traue dem Weg nicht mehr ganz so sehr wie vorher und gehe zur Rastorfer Mühle zurück und biege in Richtung Raisdorf ab. Dort finde ich auch die Markierungen wieder, denn der Weg macht einen Linksknick und mein Wanderweg findet auf diesem Ufer seine Fortsetzung.

Bei nunmehr herausragend schönem Wetter schicke ich mich an, ein weiteres schönes Stück Weg zu erkunden, das mir hier und da nur von Autofahrten her bekannt vorkommt. Nunmehr geht es auf der anderen Seite des Flusses weiter, den ich zunächst ohnehin wegen eines Wäldchens nicht zu sehen bekomme. Ein kleines Wildgehege findet sich hier auch, unten am Pfad sind jedoch nur Vögel eingesperrt. Nach einem schmalen Weg, der mich zum Fluss zurück- und daran entlangbringt, wird die Schwentine immer schöner: Bäume spiegeln sich so deutlich auf dem Wasser, dass man glauben könnte, dort unten wüchsen ihre Pendants. Tatsächlich ist es schwer, sich von dem Gedanken unterirdischer Gewächse zu lösen, denn in allen Details scheinen mir die zahlreichen Blätter von der Wasseroberfläche entgegen.

Ein paar hundert Meter weiter führt der Weg direkt am malerischen Rosensee entlang und ab hier werden so manche Seen den Lauf der Schwentine durchbrechen und ausweiten, der Fluss jedoch wird noch viel weiter südlich als solcher gedeutet. Ich photographiere das wundervolle Hellgrün, das den rostbraun schimmernden See umrahmt und komme bald darauf zu der Bundesstraße 202, die sich hier durch das Land schneidet. Die Überquerung erweist sich jedoch als machbar und auf der anderen Seite stiehlt sich unauffällig der Weg voran, wieder am Rosensee entlang, wo ich auf dem Wasser zwei Kanuten palavern höre, der Klang ihrer Stimmen wird hunderte Meter weit getragen in der offenen, nassen Ebene.

Ein Wäldchen zieht sich am See entlang und bald darauf trennen sich die Wege des Flusses und des E1, ich ziehe über schmale Straßen, gesäumt von Bauernhöfen und zurückgezogenen Häusern, Katzen und Hunde streunen hier herum und die Wipfel der Bäume vereinen sich hier und da zu einem Dach. Die Gegend wirkt sehr altertümlich und ich fühle mich einmal mehr, als würde ich nicht im Hier und Jetzt unterwegs sein, sondern in grauer Vorzeit. Bald darauf stoße ich auf einen Sandweg, der mich an der so genannten Weinbergsiedlung (die mit Weinbergen nichts zu tun hat) vorbeiführt. An einem kleinen Hain mache ich eine Pause und verpflege mich erstmals ein wenig, merke, dass ich von dem schnellen Marschtempo allmählich etwas ermüde. Der sandige Weg führt noch ein Stückchen weiter, bis ich in einem Wäldchen direkt vor der Stadt links abbiege und auf das Preetzer Kloster zuwandere. In Klosterumgebungen sollen sich ja heute noch große Populationen von Weinbergschnecken nachweisen lassen, die damals von Mönchen zum Verzehr gezüchtet wurden und sich offenbar so langsam an neue Lebensräume heranwagen, dass im Umkreis eines längst nicht mehr funktionierenden Klosters ebenfalls noch viele Schnecken zu finden sind.

Ich finde keine einzige, als ich auf das imposante Gebäude zuwandere, in dessen Umgebung Kirschbäume in voller Blüte stehen. Der Weg führt mich mitten durch die Klosteranlagen, die bieder aufgereiht sind, aber von allerlei prächtigen Gartenanlagen gesäumt. Was hier alles in Blüte steht! Direkt hinter dem Kloster stoße ich unvermittelt auf die Preetzer Hauptverkehrsader, was allerdings nicht viel heißt. Ein Stück weit führt es mich in dieser verschlafenen Kleinstadt die Straße entlang, ich verliere meine Blicke an alten Häuschen, mit oder ohne Reetdach, und promeniere die letzten Meter zum Preetzer Markt, der mir als guter Schlusspunkt erscheint. Bei einem Bäcker versorge ich mich mit einem nachmittäglichen Snack und setze mich kurz in die Sonne, bevor ich bald darauf die wenigen verbleibenden Meter zum Bahnhof zurücklege und nach Kiel zurückfahre.

Die Kilometer rasen an mir vorbei und ich ruhe mich erstmals ein wenig aus. Wieder in Kiel hoffe ich, dass der Bus erst in ein paar Minuten kommt, damit ich noch etwas mehr essen kann – ich bin ausgehungert! - und habe erneut Glück. Die 11 kommt in ca. 15 Minuten, was mir Zeit zu einer türkischen Pizza und einer Cola verschafft, die ich an der Haltestelle gierig verspeise. Zu schnell, denn es sind immer noch 10 Minuten, als ich auf die Anzeigetafel sehe. Nun kann ich einmal zur Ruhe kommen, bin aber rastlos, und die Zeit wird mir allzu lang. Endlich kommt der überfüllte Bus und ich fahre bis nach Wellingdorf, wo ich sogleich wieder auf dem E1 bin. Dieser führt mich fast bis zurück zu meinem Parkplatz und ich freue mich über den gelungenen Tag. Einen Vorgeschmack vom E1 habe ich somit erhalten und beschließe, demnächst einige nahe Etappen auszuprobieren, um zumindest die eigene Umgebung nach und nach zu erwandern, solange ich noch hier in Kiel wohne.